Jahresausstellung 2015: „The Bison-Mammoth Formula“
The Bison-Mammoth Formula
Jahresausstellung 2015
In der 8 km langen Höhle von Rouffignac in Südfrankreich, finden sich zahlreiche Zeichnungen und Felsritzungen von Mammuts, Bisons, Pferden und Wollnashörnern, aber auch einige wenige Menschendarstellungen und abstrakte Zeichen. Die „Höhle der 100 Mammuts“ wurde erstmals 1575 schriftlich erwähnt, damals schon mit dem Verweis auf seine „Malereien und Tierspuren“. Doch erst 1956 wurden die Felsbilder von zwei Prähistorikern als solche erkannt und bestätigt und ihr Alter auf mindestens 14 000 Jahre geschätzt.
Seither ist die Höhle von Rouffignac einer der zentralen Orte der Höhlenmalereiforschung und des damit einhergehenden Tourismus in Südfrankreich. Aber auch schon ohne diese Beglaubigung war die Höhle im 19. Jahrhundert als Touristenattraktion bekannt. Besucher gab es dort allerdings schon mindestens seit dem 16. Jahrhundert. Dies lässt sich unschwer an den zahlreichen Graffitis erkennen die die neuzeitlichen Besucher an der Decke der Höhle hinterlassen haben. Mit dem Ruß der Fackeln und Kerzen, mit denen sie sich ihren Weg durch die Dunkelheit der Höhle bahnten, haben sie Zeichen, Namen und Jahreszahlen an der Decke hinterlassen. Die älteste erkennbare Jahreszahl ist 1583. Die Tatsache, dass die Rußgrafittis zum Teil offenbar achtlos die prähistorischen Zeichnungen der „Grand Ceiling of Rouffignac“ bedecken, weist darauf hin, dass diesen Besuchern, das tatsächliche Alter und die Bedeutung der Höhlenabbildungen nicht bewusst gewesen ist.
An der Decke des Pavillon 13 prangt während der Jahresausstellung ein großes „Deckengemälde“. Es ist unter Mitwirkung aller Studierender der Klasse entstanden. Die große Zeichnung/Malerei wurde in Anlehnung an die Graffitis von Rouffignac mit Kerzen- und Fackelruss auf die Decke aufgebracht. Dies ist überwiegend bei Dunkelheit geschehen, so daß die Fackeln und Kerzen zugleich als Zeichengerät und einzige Lichtquelle fungierten. Die zu diesen Zweck hergestellten Geräte, Halterungen und Armverlängerungen sind im Schaufenster des Pavillons, der Galerie Duglas ausgestellt.
Das Deckenbild und die ausgestellten Geräte sind eine Reflexion und Verarbeitung verschiedener Aspekte und Erfahrungen, die während einer Klassenreise im vergangenen Mai zu den Höhlen von Niaux, Bedeilhac, Cargas, Pech-Merle, Lascaux II, Rouffignac, Font de Gaume, Les Combarelles und Caugnac in den Departements Dordogne und Midi von zentraler Bedeutung waren.
Anlass und zentralstes Anliegen dieser einwöchigen Reise war die direkte physische Begegnung mit den Höhlenbildern. Und tatsächlich hat sich diese Begegnung als eine außergewöhnlich intensive und bewegende Erfahrung von erstaunlicher Unmittelbarkeit herausgestellt.
Ein wesentlicher Faktor dieser intensiven Wirkung ist sicher die Art der Darstellungen selbst, deren pointierte und dynamische Reduziertheit von einer äußerst sensiblen und präzisen Umweltbeobachtung der Urheber zeugt.
Ein weiterer Faktor der zu dieser besonderen Unmittelbarkeitserfahrung beiträgt, ist sicher das enorme aber irgendwie gerade noch vorstellbare Alter dieser Bilder, das zunächst ganz im Widerspruch zu ihrer lebendigen, geradezu „frischen“ Wirkung zu stehen scheint.
Bei genauerer Betrachtung scheint es aber genau dieser vermeintliche Widerspruch zwischen Alter und die im Angesicht dieser Bilder empfundene geradezu persönliche Präsenz von Performativität und Sensibilität zu sein, die das Empfinden ihrer Unmittelbarkeit so immens steigert. Der Betrachter wird hier zum Teil einer unwahrscheinlichen aber erstaunlich präzisen, ästhetischen Kommunikation über Jahrtausende hinweg. Schließlich trägt zu dieser überaus plastischen Anschaulichkeit natürlich nicht zuletzt auch die Tatsache bei, dass die Bilder an genau dem selben Ort entstanden sind, an dem sie Tausende Jahre später von uns in Augenschein genommen werden.
Dieser intensiven Unmittelbarkeitserfahrung steht allerdings auf der anderen Seite, eine ganz andere, jedoch nicht minder wesentliche Erfahrung gegenüber, die aber Ersterer zunächst vollkommen zu widersprechen scheint, sie bei näherer Betrachtung aber genaugenommen erst ermöglicht und in Szene setzt. Es ist die Erfahrung der äußersten Vermitteltheit all der Aspekte die zu dem zentralen Ereignis, der Begenung mit den prähistorischen Spuren führen und sie vorbereiten.
Also alle Aspekte der Vermittlung, wie zB der Inszenierung, Organisierung, Dramatisierung, Diskursivierung, Musealisierung, Publizierung und alle weiteren Formen der Kontextualisierung der Höhlenbilder. Die Inszenierung der Höhlenbilder zum Beispiel beginnt bereits zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, indem die Zeichnungen von ihren Urhebern sehr bewußt, tief in einer schwer zugänglichen dunklen Höhle platziert wurden, und deren Aufsuchen und das Eintauchen in ihre Dunkelheit und in ihre bizarre Formenwelt nur bewaffnet mit einer flackernden Flamme, bereits auf die Begegnung mit den Spuren in ihrem Inneren dramaturgisch vorbereiten.
Die Wege in das Innere der Höhlen sind heute prinzipiell die Gleichen geblieben. Allerdings sind sie heute nicht selten gepflastert und gelegentlich beleuchtet und in die Höhle von Rouffignac gelangt man sogar nur auf einer Bergbahn für die eigens mehrere Meter Felsboden abgetragen wurde.
Heutzutage kann man die Höhlen auch ausschließlich in geführten und zahlenmäßig limitierten Gruppen betreten. Die prähistorischen Bilder werden während dieser Führungen in teilweise sehr subjektiv gefärbten Vorträgen historisch, rethorisch und persönlich kontextualisiert. Die Fackeln sind dabei LED- Taschenlampen und Laserpointern gewichen. Am Höhleneingang oder in benachbarten eigens errichteten Gebäuden werden Eintrittskarten, allerlei Merchandisingartikel, Sekundärliteratur und Snacks angeboten. In direkter Nachbarschaft zu den Höhlen schließen sich nicht selten Museen oder gar Repliken mittlerweile der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglichen Höhlen an (Las- caux 1und 2). Die neuesten dieser Museen, von denen einige bereits gebaut sind, andere noch in Planung (Lascaux 3 und 4) setzen interessanterweise einerseits auf eine extrem hochtechnisierte Vermittlung durch neueste interaktive Medien aber gleichzeitg auch auf Transparenz und Offenlegung der angewandten Vermittlungs- und Simulationstechniken.
Dieses sich so offensichtlich ins Bild setzen des Vermittlungsapparates und der daran angeschlossenen Industrien, hat genau durch seine überdeutliche Sichtbarkeit und Künstlichkeit den interessanten Nebeneffekt, dass auf diese Weise die elementaren Bedingungen einer jeden Bildbetrachtung und Ausstellungssituation ebenso überdeutlich kenntlich werden und ins Blickfeld geraten. Diese elementaren Bedingungen, die eine ästhetische Begegnung erst ermöglichen umfassen: Den Raum und den Ort, das Licht und den diskursiven Rahmen, also die vor Ort dargereichten oder anderweitig ersichtlichen Informationen aber auch die „mitgebrachte“ Vorbildung des Betrachters. Trotz intensiver Bearbeitung und Durchdeklinierung dieser Parameter in den gängigrn Ausstellungsituationen des White Cube zum Beispiel sind die Rezeptionsmodi des Betrachters dort doch so routiniert und standardisiert, dass sie dort kaum noch wahrgenommen werden.
Um zu sehen wie diese eingefleischten und unbewusst reproduzierten Rezeptionsmodi der gängigen Kunstbetrachtung irritiert werden, wenn die genannten drei Grundbedingungen noch offensichtlicherer Vermittlung, Führung und Kontrolle unterliegen, und ob und wie andere, zugespitztere Vermittlungformen zu neuen Unmittelbarkeitserfahrungen führen können, werden einige Studierende der Klasse in Anlehnung an die selbst erlebten Höhlenführungen in Südfrankreich, im Dunkeln durch die Ausstellung führen. Zu diesem Zweck wurde der gesamte Pavillon eigens abgedunkelt und auf Höhlentemperatur abgekühlt.
JAHRESAUSSTELLUNG 2015
Klasse Hakimi
Pavillon 13, Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg
Bingstraße 60, 90480 Nürnberg
Julia Schwittai
Mario Schneider
Max Hanisch
Cathérine Lehnerer
Jonas Tröger
Leonie Elpelt
Julia Himmelhuber
Alexander Lozza
Johannes Dold
Julia Werner
Aniela Helen Guse
Nele Jäger
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